Millennial-Studie: Qualität bleibt wichtig

Die jungen Zielgruppen zu erreichen, wird für Medien zur Überlebensfrage. Wie sich die Jugend heute informiert und welche Kanäle und Inhalte für sie relevant sind, zeigt die BDZV-Millennial-Studie. Der Autor Prof. Dr. Stephan Weichert erläutert, wie es den Zeitungen gelingt, nah an der jungen Klientel zu bleiben.

Herr Weichert, welchen Stellenwert haben Nachrichten und Nachrichtenmedien für Jugendliche und junge Erwachsene?

Nachrichten haben in dieser Zielgruppe einen sehr hohen Stellenwert. Die Frage ist jedoch, welchen Ursprungs diese Nachrichten sind und welche Quellen sie heranziehen. Ohne Zweifel sind die sozialen Netzwerke inzwischen der wichtigste Nachrichten- und Informationsgeber für die zwischen den frühen 1980er Jahren und 2000 Geborenen. Generell sind bei Facebook & Co. journalistische Inhalte ja bereits stark vertreten. Aber die Fähigkeit zu unterscheiden, aus welcher Quelle eine Information stammt, scheint besonders dieser Zielgruppe immer schwerer zu fallen. Auf der anderen Seite gibt es nachweislich eine hohe Wertschätzung gegenüber Journalismus und Qualitätsinhalten. Die jungen Zielgruppen haben einen Begriff davon, was Journalisten tun und wofür sie wichtig sind.

Ist das nicht ein Widerspruch? Einerseits sind Absender und Quelle einer Nachricht nicht mehr so wichtig, andererseits wünschen sich auch die Jungen seriöse, verlässliche Informationen von glaubwürdigen Absendern?

Es ist ihnen schon wichtig. Im Informationsrauschen der sozialen Netzwerke geht aber die Kenntlichkeit journalistischer Quellen häufig verloren. Einerseits erwarten die Millennials also Objektivität und Glaubwürdigkeit von Informationen, andererseits können sie die Absender von Nachrichten kaum noch unterscheiden. Das spricht dafür, dass wir für diese Generation eine besondere Form der digitalen Nachrichtenkompetenz brauchen. Journalismus muss mehr zum Botschafter in eigener Sache werden und lernen, seine Produkte besser zu vermarkten, zu erklären und seine Arbeit transparenter zu machen. Das würde das Verständnis dafür fördern, was Nachrichten eigentlich wert sind und was professionelle Inhalte von Laieninhalten unterscheidet. Es ist eine der größten medienpädagogischen Herausforderungen im digitalen Zeitalter, das durch Facebook & Co. ramponierte Image von Journalisten zu verbessern, indem man junge Leute dafür sensibilisiert, welchen Aufwand journalistisches Handwerk bedeutet.

Ist nicht auch angesichts der Debatten um Fake News und Desinformation bei den jungen Zielgruppen das Bewusstsein dafür gewachsen, was qualitative Nachrichten wert sind?

Wir konnten feststellen, dass sich eine Art Gegenbewegung zu Hatespeech formiert und die Wertschätzung für journalistische Qualitätsinhalte steigt – und das, obwohl wir unsere Befragung vor der Trump-Wahl durchgeführt haben. Das ist eine Steilvorlage für Verlage. Sie sollten diese Karte noch selbstbewusster spielen. Die Millennial-Studie zeigt, dass von den jungen Zielgruppen mehr Perspektiven, Lösungsansätze und Orientierung in der Berichterstattung gefragt sind. Hier können die Verlage ihre Relevanz steigern und noch mehr Orientierung geben in diesen Zeiten der Populisten.

Das heißt, Verlage müssen neben größerer Transparenz auch mehr in Markenbildung und Nutzerbindung investieren, um sich bei den Millennials zu positionieren?

Ganz massiv sogar. Wenn man als Inhalteanbieter bei Facebook präsent ist, ist man zwar nicht unsichtbar. Aber um eine verlässliche Sichtbarkeit zu erreichen, von welcher Marke die Inhalte stammen, muss mehr getan werden. Diese Markentreue und das Community-Building, das heute nur noch marginal über die Homepage funktionieren kann, sind in sozialen Netzwerken unglaublich wichtig.

Wenn aber Facebook & Co. als die relevanten Distributionskanäle weitgehend den Zugang zur jungen Zielgruppe beherrschen, besteht dann nicht die Gefahr, dass die Abhängigkeit der Verlage von den Algorithmen dieser Gatekeeper noch größer wird?

Dass die Gefahr einer Abhängigkeit besteht, liegt auf der Hand. Solange sie selbst nichts dergleichen entwickeln, können die Verlage im Grunde immer nur reagieren auf eine digitale Infrastruktur, die schon da ist. Und das birgt ganz viele Probleme in sich. Google beispielsweise geht mit dieser Herausforderung souverän um und hat durch verschiedene Initiativen in den letzten Jahren durchaus bewiesen, dass sie sich dem Journalismus öffnen und ihn unterstützen wollen, etwa mit der europaweiten Digital News Initiative (DNI) und dem Google Newslab. Anders als der Journalismus haben Konzerne wie Google und Facebook allerdings keinen gesellschaftlichen Auftrag.

Können Sie aus Ihrer Studie auch Erkenntnisse für den Werbemarkt ziehen? Wie erreichen Werbekunden die jungen Zielgruppen, muss sich die werbliche Ansprache der Millennials ändern?

Dazu gibt es zwei generelle Erkenntnisse. Zum einen ist Werbung immer stärker durch personalisierte Nutzerdaten getrieben. Damit kann sie gezielt Nutzer ansteuern und in ihrer Ansprache individualisiert und konfektioniert werden. Der zweite Trend ist, dass der Werbemarkt immer stärker auch auf eigene redaktionelle oder redaktionell anmutende Formate und Produkte setzt. Das gilt für Native Advertising genauso wie für eigene Content Marketing-Abteilungen. Nachteil für den Journalismus: Werbungtreibende brauchen dafür nicht mehr so sehr die journalistischen Angebote, um ihre Werbebotschaften zu transportieren.

Noch ein Blick auf die Bedeutung regionaler Nachrichtenangebote: Können Zeitungen damit bei den jungen Zielgruppen punkten?

Das ist ein Pfund, mit dem die Verlage noch mehr wuchern könnten: ihre Expertise rund um das lokale Angebot. Das hat eine starke Anziehungskraft auf die junge Zielgruppe, die sich sehr für ihr Umfeld begeistert und sich auch engagiert, wenn etwas nicht funktioniert. Gerade Zeitungen vor Ort sind in der Lage, eine Brücke zu schlagen zwischen dem „großen Weltgeschehen“ und dem direkten Lebensumfeld. Zum Beispiel Syrien: Das ist erstmal weit weg, sehr krisenbehaftet und – das kam in unseren Gesprächen auch heraus – diese Krisenfixierung ohne Lösungsangebot stresst die jungen Leute sehr. Trotzdem sind sie interessiert, wenn in ihrer Nachbarschaft syrische Flüchtlinge leben. Wo Ereignisse direkt die Umwelt der jungen Menschen betreffen, wo sie also eine greifbare, konkrete Relevanz für sie entfalten, da lassen sich Jugendliche und junge Erwachsene sehr viel stärker ein.

Verlage sollten also stärker auf die konkrete Lebenswirklichkeit junger Menschen Bezug nehmen?

Das sollte Lokaljournalismus immer tun. Aber die Regionalzeitungen sollten sich dessen bewusst sein, dass sie hier ein Alleinstellungsmerkmal haben. Sie haben die Redaktionen vor Ort und die lokale Autorität, mit der sie jungen Zielgruppen anderes bieten können als überregionale Medien, die aus Sicht der Millennials alle eher gleichförmig berichten. In zielgruppenspezifischen Angeboten und journalistischen Darstellungsformen sehe ich deshalb Potenzial. Gerade für die angesprochene Marktpositionierung ist das enorm wichtig. Das ist wertvolle Markenbindung, das sind Communities, die völlig neu aufgebaut werden können – und ein unschätzbarer Vorteil der lokalen Medienmarken.

Dr. Stephan Weichert hat seit 2008 eine Professur für Journalismus und Kommunikationswissenschaft in Hamburg inne. Seit 2013 leitet er den berufsbegleitenden Masterstudiengang „Digital Journalism“ an der Hamburg Media School. Er ist Mitbegründer der Plattform VOCER.org, Gründer des VOCER Innovation Medialab und Mitinitiator der Kampagne #netzwende, die für journalistische Nachhaltigkeit im Internet eintritt. 

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