Slo-vertising: Stimmen aus dem Markt

Das gedruckte Bild hat eine ikonografische Kraft

Haben Sie schon einmal einen vollständigen Film im Kopf behalten? Laut Lothar Leonhard, langjährigem Chairman von Ogilvy, bleibt bei dem Film Casablanca vor allem die Abschiedsszene von Humphrey Bogart auf dem Flughafen haften. Die Filmplakatmaler sahen das genauso.

Lothar Leonhard spricht daher von der ikonografischen Kraft des gedruckten Bildes. Diese Kraft hebt sich wohltuend ab von den sich immer schneller bewegenden bewegten Bildern, von denen immer weniger in der Erinnerung haften bleibt.

Aus der Ruhe dieses festen Bildes erwächst die Wirkkraft der Werbebotschaft, die, so Leonhard, die gedruckte Zeitung als Werbemittel unverzichtbar macht. Dies gilt für Print und auch die digitale Zeitung profitiert zunehmend von dieser besonderen Kraft.

Wirken statt Blinken

Werbeakzeptanz ist der kommende Kampfplatz der Media-Gattungen. Verlangt eine steigende Werbeverdrossenheit nach aufdringlicherer Unterbrecher-Werbung oder nach „Slo-vertising“? Der Markt- und Mediaforscher Dirk Engel äußert sich dazu auf der Website kunden-wissen.de. Wir dokumentieren seinen Beitrag:

Vor einiger Zeit fand die dmexco statt, die größte Messe für Online-Marketing hierzulande. Wer dort war, traf folgendes an: volle Hallen, viele Menschen, Lärm und hunderte von Messeständen, die mit allen Mitteln (oft Promis, Freibier und Livemusik) um die Aufmerksamkeit der Besucher buhlten. Die fühlten sich nicht selten etwas verloren. Das ist aber ok, denn diese Messe ist ein Spiegel der Online-Welt: Banner, Pre-Rolls, Layers und E-Mails blinken und prasseln auf den Nutzer ein. Und der ist davon genervt.

Digitales Stalking als Geschäft

28 Prozent der deutschen halten Internet-Werbung für lästig, laut der aktuellen Studie best for planning. Die Online-Branche scheint das wenig zu bekümmern. Sie arbeiten an ausgefeilteren Techniken, um ihre User zu nerven. Was der Online-Werber stolz als Re-Targeting bezeichnet, nimmt der Konsument als digitales Stalking war. Was als innovative Social-Media-Kampagne gedacht ist, sehen Facebook-Nutzer als Eingriff in ihre Privatsphäre. Realtime Advertising soll dafür sorgen, dass der Nutzer keine Verschnaufpause bekommt. Manche Agenturen nennen ihre Kommando-Zentrale zur Aussteuerung der Echtzeit-Werbung „War Room“. Werbung als Feldzug gegen den Konsumenten – das hört sich alles andere als modern an und erinnert eher an die Anfänge der Werbung im 19. Jahrhundert.

Jeder Trend führt aber auch zu einem Gegentrend. Menschen gehen selektiver mit Medien und Werbung um – dabei nutzen sie zunehmend Filter, um Werbung aus den Weg zu gehen. Technische Filter wie Adblocker, Festplatten-Rekorder oder „Bitte-keine-Werbung!“-Aufkleber. Oder psychische Filter: Selektive Aufmerksamkeit, Habituation, Reaktanz. Das Thema Werbeakzeptanz, von der Media-Branche vernachlässigt, ist für den Konsumenten wichtig.

Real Time War Room oder Slo-vertising

Nur selten wird das in der Branche thematisiert. Der Slow-Media-Blog versucht, einen bewussteren Umgang mit Medien zu propagieren. Und die aktuelle Werbekampagne der Zeitungs Marketing Gesellschaft ZMG spricht von Slo-vertising . Zu Recht, denn gerade in der Tageszeitung schätzen Konsumenten den selbstbestimmten Umgang mit Anzeigen und Prospekten. Nur 11 Prozent halten (laut best for planning) Werbung in Tageszeitungen für lästig und nur 9 Prozent für störend – lediglich die Plakatwerbung bekommt noch bessere Werte.

Das Internet hat den Menschen einen Zuwachs an Souveränität gebracht – er kann heute leichter Preise vergleichen, ist nicht mehr an Öffnungszeiten gebunden und kann überall seine Meinung äußern. Nur in der Online-Werbung werden die Nutzer noch für unmündig gehalten, etwa durch Werbe-Pre-Rolls vor Videos, die man nicht wegklicken kann, oder durch Unterbrecher-Werbung wie Interstitials oder Flash-Layers. Auf der anderen Seite sollten sich gerade die Print-Verlage auf Ihre Stärke besinnen: Die hohe Werbeakzeptanz und Werbewirkung von Print-Werbung, die gerade mit dem selbstbestimmten Umgang mit Anzeigen zusammenhängt.

Dirk Engel, Markt- und Mediaforscher, kunden-wissen.de

Grüße aus Flicker-Flacker-Displayland

Was haben wir uns vor einigen Jahren nicht alles vorgenommen, was wir mit den tollen, neuen Möglichkeiten der digitalen Welt anfangen wollten? Integrierte Kampagnen, crossmediales Storytelling und Branded Entertainment. Stattdessen: Integrierte Preisanimationen, Crossmediales Consumer-Stalking und Branded Enter-gähn-ment. Und das alles auch noch in einer abartigen Frequenz. Das mag sich jetzt hart anhören. Aber noch lange nicht so hart, wie es sich für Konsumenten anfühlt.

Wir machen viel zu wenig aus den Möglichkeiten. Das aber dafür sehr laut, sehr effizient und (Achtung Ironie) total relevant! Wie viele Kaffeemaschinen muss man eigentlich kaufen, bis der Algorithmus locker lässt? Werbung trifft heute tatsächlich den Nerv. Nur leider völlig anders als sie es wollte. Das Resultat: Konsumenten wenden sich genervt ab. Mit dem Ad-Blocker oder der Fernbedienung.

Wann hat Werbung eigentlich aufgehört zu werben? Und warum? Und was war falsch an involvierenden Ideen und tollen Geschichten? Ach ja, richtig: Die brauchen Zeit. Und die haben wir ja nicht mehr. Weil alles immer kürzer, relevanter und schneller werden muss.

Quatsch! Es gibt einen Bedarf für Aktivierung. Und es gibt eine Notwendigkeit für Marke. Wie wäre es also, wenn wir uns die Zeit einfach mal wieder nehmen? Für längere Formate und smarte, involvierende Ideen. Durchaus denkbar, dass wir dann zur Abwechslung auch mal wieder einen Konsumenten erreichen und nicht bloß targeten.

Ein altes Indianersprichwort sagt: Du sollst nicht langweilen und nerven! Also lassen wir’s einfach! Gemeinsam. Denn das Thema betrifft uns alle: Mediaverantwortliche, Werbungtreibende genauso wie die Kreativen.

Lothar Müller, Creative Director, Ogilvy & Mather Advertising Frankfurt

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Slo-vertising - Zeit zu wirken