Twitter-Studie
Mehr als nur Gezwitscher
Zeitungen sind auch auf Twitter eine Größe. Mit ihrer Berichterstattung sorgen sie in dem sozialen Netzwerk für Vielfalt und Austausch. Die Strategien sind dabei durchaus unterschiedlich, wie eine aktuelle Studie zeigt.
Rund 500 Millionen Tweets täglich, etwa 6.000 pro Sekunde, machen Twitter zur Microblogging-Plattform der schnellen Nachrichtenverbreitung. In Deutschland erreicht das soziale Netzwerk etwa 5,2 Millionen Menschen – darunter besonders viele einflussreiche Multiplikatoren. Etwa ein Viertel der verifizierten Accounts stammen von Journalistinnen und Journalisten.
Zeitungen sind „Early Birds“
Die deutschen Tageszeitungen zählen auf dem Kanal mit dem kleinen blauen Vögelchen zu den „Early Birds“. Viele regionale und überregionale Zeitungstitel sind bereits seit 2007/2008 mit eigenen Accounts vertreten und bespielen sie intensiv. Wie und mit welchen Strategien sie das tun, zeigt jetzt die Studie „Zeitungen auf Twitter. Takt- und Impulsgeber im digitalen Diskurs“, die die ZMG Zeitungsmarktforschung Gesellschaft im Auftrag des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) angefertigt hat.
Untersucht wurden zehn Accounts regionaler und acht überregionaler Zeitungen. Der quantitativen Auswertung liegen knapp 100.000 Tweets von Dezember 2020 bis Februar 2021 zugrunde. In einer qualitativen Analyse nahmen die Forscher die jeweils 56 populärsten Tweets jedes Zeitungs-Accounts genauer unter die Lupe.
Auch Regionalzeitungen sind starke Twitter-Marken
Mit 2,3 Millionen Followern hat Zeit Online (@zeitonline) die größte Gefolgschaft unter den untersuchten Accounts, gefolgt von @BILD (1,75 Mio.) und Süddeutsche Zeitung (@SZ mit 1,68 Mio. Followern). Gemessen an den absoluten Werten weisen die überregionalen Zeitungen naturgemäß deutlich höhere Follower-Zahlen auf als die Regionalen, denen zwischen gut 23.000 (Ostsee-Zeitung, @OZlive) und knapp 300.000 (Berliner Morgenpost, @morgenpost) Menschen folgen.
Setzt man die Zahl der Follower aber ins Verhältnis zur Auflage der Titel, zeigen sich die „Hidden Champions“. Allen voran die taz (@tazgezwitscher), deren Followerzahl auf Twitter die Printauflage um mehr als das Zwölffache übersteigt. Auch bei @mopo, @morgenpost und @SZ ist das Verhältnis größer als 5 zu 1. Ein Beleg dafür, dass auch regionale Zeitungen enorm starke Marken auf Twitter sind und der Wirkungskreis der Blätter weit über ihre gedruckten Ausgaben hinausreicht. Ebenfalls ein positives Follower-Auflagen-Verhältnis haben @Tagesspiegel, @zeitonline, @welt, @faznet und @BILD.
Die Zeitungen tun einiges dafür, in den Timelines ihrer Follower sichtbar zu bleiben. Im Durchschnitt haben die 18 aktuell untersuchten Zeitungs-Accounts alle 75 Sekunden einen Tweet gepostet. Mit ihrem Twitter-Einsatz verfolgen sie unterschiedliche Strategien, legt die Untersuchung nahe. Während für die meisten Zeitungen ganz überwiegend die Distribution von redaktionellen Beiträgen im Vordergrund steht, bemühen sich insbesondere @faznet, @welt, @tazgezwitscher und @tagesspiegel mit vielen Retweets darum, verstärkt auch Interaktionen und Austausch auf der Plattform anzustoßen. @fnp_zeitung, @tzmuenchen und @mzwebde nutzen Retweets vor allem dazu, die Reichweite von Schwestertiteln und Lokalausgaben zu erhöhen. Das Teilen einer URL gehört fast durchgängig zum Pflichtprogramm: Mehr als 95 Prozent der Zeitungs-Tweets beinhalten einen Link auf einen Artikel.
Breites Themenspektrum
Was aber macht einen Tweet erfolgreich und lädt zu Retweeten ein? Ein Patentrezept kann die Analyse zwar nicht liefern. Den drei Top-Tweets (@BILD mit 1.125 Retweets, @mopo mit 737, @Tagesspiegel mit 665) ist aber gemeinsam, dass sie Beiträge zu stark diskutierten und emotionalen Themen (Fußball, Corona-Infektionstreiber, Rassismus) transportieren. Insgesamt dominierten im Untersuchungszeitraum die Themen Corona (46,2 Prozent), Skandale (29,3 Prozent) und Politiker bzw. Politikerinnen (20,8 Prozent).
Für regionale Medienunternehmen gilt: Auch auf Twitter punkten sie stark mit ihren lokalen Themen. Bei Spitzenreiter @morgenpost drehen sich 91 Prozent der populärsten Tweets um das Geschehen vor Ort, bei @OZlive, @LVZ, @mzwebde und @fnp_Zeitung mehr als 70 Prozent. Anders die Überregionalen: Bei ihnen macht Regionales weniger als 10 Prozent aus. Sie sind auf Twitter vor allem mit ihrer überregionalen Perspektive auf das politische Bundes- und Weltgeschehen erfolgreich. Beide Zeitungsgattungen dürften damit maßgeblich die Erwartungshaltung ihrer Gefolgschaft bedienen.
Gerade diese Vielseitigkeit der Zeitungen ist einer ihrer großen Pluspunkte, findet Thomas Halamuda, der die Twitteranalyse als Forschungsleiter der ZMG verantwortet: „Als vertrauenswürdiger Absender sind die Zeitungen auch im Social Media-Umfeld ein einflussreicher Akteur. Die Redaktionen setzen die Vielfalt ihrer Berichterstattung auf Twitter konsequent um – durchaus mit ihrer je eigenen Handschrift. Sie fördern damit Diskurse und Meinungsbildung im Digitalen.“
Nutzer-Aktivierung als Strategie
Es ist nicht nur die reine Information, die Nutzerinnen und Nutzer goutieren. Wer Twitter nicht nur als Nachrichtenkanal, sondern auch als Diskussions-Plattform nutzt, kann seine Follower stärker einbinden. So hat die @DIEZEIT auf die einfache Frage „Was vermissen Sie im Lockdown eigentlich am meisten?“ fast 1.000 Replies bekommen. Auch der Tweet „Trump darf nicht mehr twittern. Eine richtige Entscheidung?“ hat zur direkten Reaktion herausgefordert und sie mit 1.190 Likes auch zahlreich erhalten. Die Interaktion mit den Nutzerinnen und Nutzern bzw. deren Ansprechen und Einbinden sind also häufig anschlussfähig. Gleiches gilt für Tweets, die Haltung zu kontroversen Themen beziehen und spezifische Sachverhalte emotionalisieren.
„Engagement, Reflexion, Haltung – das sind Schlüsseleigenschaften erfolgreicher journalistischer Twitter-Marken. Zeitungen können damit ihre Sichtbarkeit und Attraktivität auf Twitter weiter steigern“, kommentiert Peter Klimczak, Forscher auf dem Gebiet der analytischen Medienwissenschaft und Projektleiter der Studie.
Methodik
Für die Twitterstudie wurden zehn Accounts regionaler Zeitungen - Mitteldeutsche Zeitung (@mzwebde), Leipziger Volkszeitung (@LVZ), Hamburger Morgenpost (@mopo), Berliner Morgenpost (@morgenpost), Frankfurter Neue Presse (@fnp_zeitung), Stutgarter Zeitung (@StZ-NEWS), tz München (@tzmuenchen), Ostsee-Zeitung (@OZlive), Westdeutsche Allgemeine Zeitung (@WAZ_Redaktion), Rheinische Post (@rponline) sowie acht Accounts überregionaler Zeitungen (Zeit Online (@zeitonline), Frankfurter Allgemeine Zeitung (@faznet), Bild (@BILD), Die Zeit (@DIEZEIT), Der Tagesspiegel (@Tagesspiegel), taz (@tazgezwitscher), Die Welt (@welt), Süddeutsche Zeitung (@SZ) von Dezember 2020 bis Februar 2021 quantitativ und qualitativ analysiert.
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