Verschenktes Potenzial

© Rewe Group

Kundenansprache über Prospekt oder App? Beide haben ihre Vorzüge. Wer als Einzelhändler die gedruckte Angebotswerbung aber gänzlich streicht, erreicht viele Kunden gar nicht mehr. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung zur Nutzung von Kunden-Apps.

Vieles ist im Umbruch, auch in der Handelskommunikation. Die hohen Papier-, Verteilungs- und Energiepreise forcieren bei manch einem Konzern die Digitalisierung der Kundenansprache. Die Baumarktkette Obi und der Lebensmittelhändler Rewe kehren dem gedruckten Prospekt gar gänzlich den Rücken und haben den Print-Ausstieg verkündet. Andere Branchengrößen wie Aldi, Edeka oder Penny – immerhin auch Teil der Rewe Group - halten dagegen an der gedruckten Angebotskommunikation fest. „Gerade in der aktuellen Zeit erwarten viele Kunden gezielt die Prospekt-Zustellung, um sich zu informieren, wo sie die günstigsten Lebensmittel in bester Qualität kaufen können“, lässt sich Aldi Süd vom Branchendienst Meedia zitieren.

Die Print-Aussteiger setzen dagegen auf die Kundenansprache über hauseigene Kunden-Apps und – im Fall von Rewe – auf den Messenger WhatsApp. Der Dienst soll künftig jeden Sonntag den digitalen Handzettel aufs Handy der Kundschaft schicken. Damit habe man einen guten Weg gefunden, „der unseren Kundinnen und Kunden regionale Angebote und relevante Informationen auf eine leicht zugängliche Art und Weise bietet“, so Bastian Tassew, Head of CRM & Owned Media von Rewe.

Prospekte haben Reichweite

Ob sich Reichweite und Werbewirkung des klassischen Prospekts tatsächlich mit Owned-Kanälen und Messengern erreichen lassen, bezweifeln viele Marktexperten. Konkrete Daten dazu liefert eine aktuelle Untersuchung der ZMG. Ende Juli hat sie mit dem Trackinginstrument Media Monitor Handel rund 1.500 Personen zur Nutzung von Apps und Prospekten befragt. Es zeigt sich: Prospekte sind nach wie vor ein Massenmedium. 76 Prozent der Bevölkerung haben in den vergangenen drei Monaten Prospekte gelesen, 55 Prozent haben sie in der vergangenen Woche genutzt. Mehr als vier von zehn Zeitungslesern (43 Prozent) haben letzte Woche sogar Beilagen oder Anzeigen ihrer Tageszeitung gezielt aufgehoben, um sie später als Information für den Einkauf zu nutzen. Dass die Obi-Prospekte neuerdings fehlen – seit Juni verzichtet der Baumarkt auf die gedruckte Werbepost – ist 59 Prozent der Obi-Stammkäufer aufgefallen. Genau diese Stammkäufer - die mindestens einmal im Monat einen Kauf bei Obi tätigen - sind es auch, die die Prospekte am stärksten vermissen (54 Prozent).

Dass Prospekte neben intensiver Nutzung auch eine hohe Wirkung bieten, zeigen die ROI-Modelings der ZMG für den Lebensmitteleinzelhandel. Der Return on Investment (ROI) gibt das Verhältnis zwischen investierten Werbespendings und dem damit generierten Umsatz an. Er ist damit eine Maßzahl für die Effizienz einer Werbemaßnahme. Die fällt für Zeitungswerbung und Prospekte mit einem Wert von 4 bzw. 3,5 ziemlich gut aus, fasst die ZMG die zehn aktuellsten ROI-Modelings aus der Lebensmittelbranche zusammen: Jeder in die Tageszeitung investierte Euro zahlt sich vierfach aus.

Kunden-Apps erreichen Stammkäufer

Was das Interesse an Kunden-Apps anbelangt, zeigen sich die Marktforscher eher skeptisch. So nutzen aktuell zehn Prozent der Befragten die Obi-Kunden-App „heyObi“. Hauptuser sind keineswegs, wie vielleicht erwartbar wäre, überdurchschnittlich viele junge, digitalaffine Menschen. Ihre Nutzung ist eher unterdurchschnittlich: Nur acht Prozent der 16-29-Jährigen nutzen die App. Vielmehr sind die Obi-Stammkäufer die mit Abstand größte und intensivste Nutzergruppe (42 Prozent).
Das darüberhinausgehende Potenzial scheint laut Studie eher gering zu sein: Von den bisherigen Nicht-Nutzern äußern nur 18 Prozent, dass sie sich grundsätzlich eine Nutzung vorstellen könnten. Und auf so manchem Smartphone ruht heyObi wohl eher ungestört und ungenutzt. Das Gros der Obi-Gelegenheitskäufer öffnet die Kunden-App seltener als einmal monatlich (63 Prozent) bis nie (9 Prozent).

Ähnliches gilt für die Kunden-Apps von Rewe und Lidl – und das offenbart ein generelles Problem von Kunden-Apps: Stammkäufer der Geschäfte nutzen die Apps ihrer Lieblingsläden tendenziell häufiger, Gelegenheitskäufer eher selten. So geben 38 Prozent derjenigen, die die Rewe-App geladen haben und Stammkäufer des Marktes sind, an, die App etwa einmal pro Woche zu nutzen. Von den Kunden, die nur gelegentlich bei Rewe einkaufen, tun dies nur elf Prozent. Bei mehr als 70 Prozent schlummert die Rewe-App eher vor sich hin und wird maximal einmal monatlich geöffnet.

„Nicht jede App wird regelmäßig genutzt“, konstatiert auch der unabhängige Frankfurter Marktforscher Dirk Engel. Die Konsequenz: Fans und Stammkunden einer Marke können mit Kunden-Apps vielleicht gut erreicht werden, Gelegenheitskäufer und bisherige Nicht-Käufer dagegen nicht. Die Bindung neuer, junger Zielgruppen an die Marke ist damit schwer erreichbar. Anders die Ansprache über die Tageszeitungen und Beilagen: 63 Prozent der Obi-Stammkäufer lesen Tageszeitung, 59 Prozent der Obi-Gelegenheitskäufer tun es auch – und können so mit Angebotskommunikation erreicht werden.